Flagship Immobilien in Berlin, Wohnen, Gewerbe & Lifestyle – Graft Architekten im Interview (2/3)

Graft im Interview – Moderne Design-Elemente, das Aufgreifen und Neu-Interpretieren von alten Traditionen, kurzum: Innovation! Dafür steht das international erfolgreiche deutsche Architekturbüro Graft aus Berlin. Das renommierte Unternehmen hat auch Standorte in Los Angeles und Shanghai, und ist architektonisch auf dem Vormarsch! Wir durften die Gründer zu ihrer Unternehmensphilosophie, abgeschlossenen und Zukunfts-Projekten befragen, und konnten Graft so ausführlich kennenlernen. In diesem Teil des Interviews erfährst du spannendes rund um Flagship Projekte, sowie Wohn-, und Mixed-Use-Objekte des Architekturbüros. Egal ob KU64 Dental Clinic, Bricks oder die Villa M in Berlin: Graft hat zu jedem Projekt etwas spannendes zu sagen. Lerne die Projekte der Architekten und deren Arbeitsweise genauer kennen und lass dich vom Charme der individuellen Architektur verzaubern.

Wohnen, Büros, Gewerbe- & Flagship Projekte

Das Architekturbüro Graft aus Berlin wurde von drei deutschen Architekten gegründet, und ist mittlerweile ein renommiertes und sowohl national, als auch international erfolgreiches Unternehmen. Wir haben mit den Gründern ein umfangreiches Interview geführt, das wir in 3 thematische Abschnitte unterteilt haben, für die jeweils ein Artikel entstanden ist. Im ersten Teil sprechen die Gründer über Passion, Gründung und Antrieb des Unternehmens. Der zweite Teil des Interviews beschäftigt sich vor allem mit Projekten des Wohnbaus und des Mixed Use. Der dritte Teil beschäftigt sich mit den Zukunftsprojekten von Graft. Hier gelangst du zu den jeweiligen Interview-Teilen:

  1. Architekturbüro
  2. Wohnbau & Mixed Use

In diesem Abschnitt geht es um Flagship-Projekte, sowie Wohn-, und Mixed Use-Objekte. Egal ob eine Zahnarztpraxis, ein Revitalisierungsprojekt mit Denkmalschutz-Faktor, oder eine moderne Villa für Privatbesitzer: Das Portfolio des Architekturbüros ist vielseitig und einzigartig. Keines der Projekte gleicht dem anderen, und es gibt stets Neues zu entdecken! Schau dir hier die Projekte näher an und lass dir von den Gründern näheres zu Entstehungsprozessen, Ideen und Konzepten erläutern.

KU64/65 Zahnarztpraxis mit bester Lage am Kudamm

FIV: Zu einem ihrer Flagship Projekte gehört die Zahnarztpraxis KU64 Dental Clinic und der KU65 Kids Club in Berlin. Wenn Sie beauftragt werden, dann darf man immer mit etwas Besonderem rechnen. Wie man auf den Fotos sieht, ist die KU64 Dental Clinic ein offener Raum, teils mit schwebenden Decken. Eine Art Dünenlandschaft, und im Kids Club können Kinder sogar an den Wänden klettern – so eine Kinderzahnarztpraxis hat man noch nie gesehen. Dazu vertikale Gärten mit üppigem Grün. Was macht das KU64 für Sie zu einem besonderen Projekt?

Graft: Interessant am KU64 Projekt war, dass uns ein Zahnarzt anrief. Wir hatten vorher im Gesundheitssektor noch nicht viel gemacht und kamen eigentlich aus der Hospitality. Für uns war die Öffnung des Wegs „from hospital to hospitality“ interessant. Im Wortstamm steckt bereits dasselbe Wort: nämlich ein Gastgeber (Host) sein.

Nicht nur eine Praxis! Drei Jobs in einem

Graft: Wir haben die Anfrage für die Zahnarztpraxis nur angenommen, weil der Zahnarzt Dr. Ziegler sagte, dass er mit dieser Klinik etwas Größeres vorhabe und er sich eine Praxis wünsche, die mit allen Regeln breche und Erwartungshaltungen auf den Kopf stelle. Da haben wir gerne zugesagt und ich persönlich (L.Krückeberg) glaube es ist uns auch gelungen, diesen Einstieg zu erfüllen.

Im Grunde war das Projekt in drei Jobs unterteilt: Wir haben die KU64 Klinik am Kudamm im 5. und 6. OG gemacht, und diese zu einem späteren Zeitpunkt um den die Kinderpraxis im gleichen Gebäude erweitert. Inzwischen haben wir für Dr. Ziegler weitere Praxen in diesem Stil gebaut, zusätzlich noch Erweiterungen an anderen Orten.

  • Tipp! Noch mehr Infos und Bilder zum Projekt findest du hier: KU64 & KU65

Warum eine Zahnarztpraxis? Der Arzt ist Gastgeber, der Patient ist König

Graft: Warum uns das Projekt einer Zahnarztpraxis so interessiert hat? Weil Dr. Ziegler verstanden hat, dass in unserer Gesellschaft auch Gesundheits-Dienstleistung im Grunde ein Service am Menschen ist, und dass man daher ein*e Gastgeber*in ist. Dass eine Zahnarztpraxis oder auch ein Krankenhaus demnach funktionieren sollten wie ein Hotel, in dem der Gast König ist. Wenn man das berücksichtigt, stellt sich auch Erfolg ein.

Dass wir mit Dr. Ziegler bis heute arbeiten und sich das Projekt immer erweitert hat, liegt daran, dass wir Narrative gefunden haben, die sich vor allem um den Patienten drehen: wie dieser sich (behandelt und abgeholt) fühlt. Zum einen hängt das mit den Fähigkeiten eines Arztes zusammen, zum anderen eben auch mit der „Bühne“ , auf welcher dieser Arzt agiert (dabei geht es zum Beispiel auch im Licht, Aufzüge etc.).

Wenn man so etwas als Architekt*in machen kann, mit dem Nutzer und Bauherr*in als Regisseur, dann lässt sich sehr viel erreichen.

Architektur im Medizin- & Gesundheitssektor

Graft: Dieser Fokus auf den Kunden / Patienten hat uns interessiert, und seitdem haben wir extrem viel in dem Bereich gemacht – bis zum tatsächlichen Krankenhaus. Intensive Care Units beispielsweise, in denen wir in Zusammenarbeit mit Experten wissenschaftlich und Evidenz basiert überprüfen, unter welchen Bedingungen der Heilungsprozess von Intensivpatienten schneller verlaufen kann.

An diesem Forschungsprojekt arbeiten wir seit mehreren Jahren mit der Charité zusammen. Es ist heute wissenschaftlich bewiesen, dass Architektur heilen kann. Der Einstieg in den medizinischen Sektor fanden wir durch Dr. Ziegler, weil er die Weitsicht hatte, sich als Zahnarzt anders aufzustellen.

„Es ist heute wissenschaftlich bewiesen, dass Architektur heilen kann.“

© Tobias Hein

BRLO: Container-Architektur für die Berliner Stadtmitte

FIV: Bauen ohne Beton – So könnte man das nächste Projekt zusammenfassen. Container Architektur in Modulbauweise wäre noch treffender. Ein weiteres Flagship Projekt Ihres Büros ist das BRLO Berlin im Gleisdreieck. Es richtet sich an eine sehr urbane Kulturszene. Angelegt ist das BRLO als freistehendes Gebäude aus Überseecontainern. Das Ganze als portable Homebase für das junge Unternehmen. Was hat Sie an diesem Projekt speziell, und an der Container Architektur gereizt? Was war für Sie dabei der springende Punkt, an dem Sie gesagt haben ‚ja da haben wir Lust drauf, und  so möchten wir das gerne umsetzen‘?

Graft: ‚Bauen ohne Beton‘ trifft es im Grunde, wir bauen dort unter Einbeziehung des Konzeptes von grauer Energie. In dem Fall eben nicht mit einem gefundenen Gebäude, sondern mit wieder genutzten Containern. Seit es uns gibt, befassen wir uns mit dem urbanen Gewebe – und zwar überall auf der Welt, ob Los Angeles, New York, Peking, Shanghai oder eben Berlin.

„Seit es uns gibt befassen wir uns mit dem urbanen Gewebe.“

BRLO ist nicht das erste Projekt, bei dem wir mit Containern gebaut haben. Die ersten Container haben wir vor fast 20 Jahren in Kalifornien eingesetzt. Damals galten sie noch nicht als Baumaterial und waren für den Außenbereich also nicht zugelassen, weswegen wir die Container für den Innenraum benutzt haben. Wir haben daraus Arbeitsräume gebaut, Konferenzräume, die ausgeschlagen waren wie Narrenzelte.

Platoon & BRLO: „Gebäude auf Zeit“ mit vielseitiger Nutzung

Graft: Wir haben mit „Platoon“ in Berlin, vor allem aber in Seoul (Korea) Projekte realisiert, bei denen „artists in residence“ eine Zeit lang in Containern arbeiten konnten. Dort gab es große Meeting Spaces und für jede Art von Festivität Räume, die zur Verfügung standen. Das haben wir anschließend auch in Berlin in der Schönhauser Allee gemacht.

Inzwischen ist die Berliner Platoon Kunsthalle allerdings weitergereist. Darum geht es nämlich auch: mit Prinzipien zu bauen, die in der Lage sind, temporär etwas zu leisten und Geschichte und Mehrwert herzustellen. Doch wenn die Zeit kommt, dann kann diese Architektur umziehen. Genau das haben wir in Zusammenarbeit mit dem Platoon einige Male geschafft, und das ist für BRLO ebenfalls möglich.

Wir haben das Projekt BRLO mit dem Diktum begonnen, dass das Gebäude nur für 3-5 Jahre in Berlin stehen sollte. Aktuell stellen wir allerdings einen Bauantrag dafür, dass es noch einige Jahre länger stehen bleiben kann, da sich die finale Bebauung auf dem Areal sich etwas verzögert und weil es sehr erfolgreich und beliebt bei den Menschen ist. Deswegen wird dem Temporären manchmal eine sehr, sehr lange Lebenszeit geschenkt, was bei BRLO eben auch der Fall ist.

Konzepte auf Zeit: Tradition trifft Innovation

Graft: Aber wenn – aus welchem Grund auch immer – das Fallbeil der Zeit kommt, dann kann die BRLO Brauerei umziehen, oder auseinander genommen und in der Wertschöpfungskette etwas anderes werden. Diese Art von „anderem Städtebau“ ist etwas, das uns auch interessiert: Städtebau der temporär ist, der mit den richtigen Ideen ganze Areale aufwerten kann, aber „leichtfüßig“ auftritt, weil er auch wieder verschwinden kann, ohne Fundamente sprengen zu müssen.

Temporäre Nutzung gehört genauso zur Stadt wie vieles, das ewig dauern soll, und es gab sie auch immer: Wir denken an Marktplätze, Orte urbaner Rituale, die so alt sind, wie der Mensch selbst.

„Die Stadt ist schnell, die Welt ist global – Und genauso schnell und global müssen wir als Architekten denken.“

„Gebäude auf Zeit“ sind nicht neu, man muss sich nur auf diese wunderschöne Tradition besinnen und diese mit heutigen Mitteln umsetzen. Dabei kann man viel Mehrwert für den städtischen Raum schaffen, ohne langfristige Entscheidungen treffen zu müssen – sei es eine Investition von Geld oder auch Zeit. Dieser Bereich interessiert uns, denn die heutige Stadt ist schnell. Die Welt ist global, und genauso schnell und global müssen wir als Architekten denken, wissend, dass unsere Profession eigentlich eine ist, die häufig viel längere Zeiträume braucht, um sie zu planen, aber dann natürlich auch viel länger als Bauwerk erhalten bleibt.

© Done Studio, Ulf Saupe

Wohnimmobilie Berlin: Villa M in Grunewald

Etwas, das für unsere Leser*innen tatsächlich vor allem spannend ist, ist der Aspekt der Wohn- bzw. Mixed Use Immobilien. Dabei kommen Projekte wie die Villa M, das Bricks-Projekt oder auch das Charlie Living Quartier in Berlin in den Sinn.

FIV: Zuerst zur Villa M, die rundum mit individuell angefertigten Keramikplatten verkleidet ist, die auf einem Baukastenprodukt beruhen, aber teilweise auch individuell angefertigt waren. Allein die Suche nach den richtigen Partnern, um das Ganze praktisch umsetzen zu können, nimmt viel Zeit in Anspruch. Die Anfertigung demnach umso länger. Das gesamte Objekt kann, wenn man so will an einen eiszeitlichen Findling erinnern und ist in Berlin Grunewald umschlossen von klassischen Villen. Zunächst zum außergewöhnlichen Design: Wie entwickeln Sie ein solches Projekt? Entsteht die Idee in einer Sekunde zufällig, oder sind es Wochen der Planung mit dem Bauherrn / der Bauherrin, oder ist das je nach Projekt unterschiedlich?

Graft: Die Entwicklung eines Projekts ist eine sehr, sehr lange Reise, und eigentlich entstand erst am Schluss dieser Spitzname ‚Der ‚Findling‘, diese Assoziation, dass das Haus wie ein großer Stein, fast wie ein Meteor, aussieht. Klar war, dass der Bauherr uns in diesem Fall extrem freie Hand ließ, und etwas Außergewöhnliches haben wollte. Etwas, worauf er stolz sein kann und das eine neue Stimulation der Interpretation auslöst, die eben keine klassische Entzifferung von einer „Erzählung von Haus“ hat.

  • Tipp! Du möchtest noch mehr Fakten zur Villa M erfahren? Dann findest du hier noch mehr Infos: Villa M

Planungsprozess einer Luxusimmobilie: Bauplanung, Vorbereitung & Konzept

Graft: Man musste das Haus natürlich auch in die Nachbarschaft hineinbringen, und es in ein Baurecht, ein Planungsrecht und einen B-Plan vor Ort setzen. Dieser geht eigentlich davon aus, dass das Haus drei Geschosse mit einem Dach hat, mit einer eindeutig erkennbaren Eingangstür.

Ein so landschaftliches, naturartiges Bild zu versuchen, ist im Grunde in einem iterativen Prozess entstanden, in einem Brainstorm zwischen dem Bauherrn, uns Partnern, und unseren Mitarbeitern. So ist die Villa M über einen sehr langen Zeitraum geboren worden.

„Das nicht ganz Klare in der Identität der Villa M, das ist gewollt.“

Das was viele jetzt in der Villa erkennen, die Metapher des Findlings, das war uns im Moment der Erfindung am Anfang nicht wichtig, das ist erst retrospektiv entstanden, erkannt, gelesen worden.. Wir zeigen eine neue mögliche Interpretation im Narrativ auf, aber: das eigentlich nicht ganz Klare und Eindeutige in der Identität, dass die Villa je nach Tageslicht, je nach Beobachter, je nach Jahrzehnt, in dem man sie betrachtet unterschiedliche Dinge auslöst, das ist gewollt.

Finaler Entwurf braucht Zeit

FIV: Also war es in dem Fall ein längerer Prozess bis hin zum tatsächlichen, finalen Entwurf?

Graft: Es ist meistens so, dass der Prozess bis zum finalen Entwurf langwierig ist. Geniestreiche kommen meistens nur in der Verkürzung des Films vor, oder wenn man Mozart heißt. Es macht doch gar keinen Spaß, wenn man nach einer Sekunde fertig ist. Wir wollen den Moment der Idee ausdehnen, ausreifen. Aus dem wird dann schon früh genug Realpolitik.

Auf diese Reise zu gehen, zu verstehen was der Ort, die Umstände und das Gegenüber dort haben wollen, das ist das Spannende. Wenn der Moment des Nachhorchens in diesen noch leeren Raum, des noch weißen Blattes Papier länger als ein Geniestreich von 14 Sekunden anhält, dann ist das wirklich schön.

Besonderheiten der Villa M: Moderne Fassade, Mehrfamilienhaus mit Wohnung

FIV: Das gesamte Konzept des Hauses ist interessant, da es sich sowohl als Mehrfamilienhaus nutzen lässt, als auch getrennt in einzelne Einheiten. Vorteilhaft für den Eigentümer, so sind die Nutzungsmöglichkeiten erweiterbar. Könnten Sie uns noch mehr über diese und weitere Feinheiten dieser Villa erzählen?

Graft: Das Haus ist ursprünglich für einen Nutzer angelegt, der das Haus alleine (zukünftig mit Familie) bewohnen will. Was man daraus später für eine Unterteilung macht, darauf hat der Architekt keinen Einfluss mehr. Wir haben es nicht als Mehrfamilienhaus geplant, es ist dennoch durchaus in dieser Weise von mehreren Bewohnern nutzbar.

Das Thema war allerdings erstmal primär ein herrschaftliches, gesellschaftliches Haus neu zu interpretieren, und das in einer im Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Waldsiedlung wohlhabender Berliner. Einen gesellschaftlichen Auftritt zu schaffen, mit einer Möglichkeit zu entertainen und Personal zu beherbergen. Ein ganz klassisches Programm in eine wirklich völlig innovative und nicht dechiffrierbare Form zu bringen.

Innovationen in der Immobilien-Gestaltung: Haus und Garten

Graft: Früher hätte man einen klassischen Portikus gebaut, die Bediensteten hätten unter dem Dach gewohnt, man hätte im Erdgeschoss große Unterhaltungsräume gemacht und die Küche wäre nicht so dominant und offen zur Wohnlandschaft gewesen. Das ist in diesem Haus ganz anders: Es will sich landschaftlich verhalten. Diese Qualität geht in der Gestaltung des Gartens weiter. Zusammen mit dem Landschaftsplanern von Kre_Ta hatten wir früh damit angefangen, uns das Haus auch in seiner Gartengestaltung als etwas Ganzheitliches vorzustellen. Deswegen geht die Materialität und die Formsprache im Garten weiter.

Natürlich möchte so ein Haus noch lieber in einem riesigen Park, oder am Hang eines Hügels im Mittelgebirge Deutschlands stehen, oder, oder, oder. Der Besitzer selbst ist Stolz darauf, dass er mit seinem Haus ein bisschen aus der Reihe tanzt, dass es ein Hingucker ist, und dass es innerhalb dieser gründerzeitlichen Villen eigentlich auch sagt: „Hallo, ich bin etwas Neues! Hier herrscht Aufbruch statt Restauration!“

Beispielhaft für einen „Kniff“ dieser Villa ist das zweite Treppenhaus im Inneren. Angenommen das Haus wird verkauft und einem anderen Nutzen, wie einem Mehrfamilienhaus mit einer Wohnung pro Etage, zugeführt. Dann ließen sich die einzelnen Wohnungen separat erreichen. Deswegen haben wir uns im Inneren bis auf das Treppenhaus halbwegs zurückgehalten und versucht, dieses klassisch auszustatten.

© Tobias Hein

Moderne Architektur heißt Altes neu denken

FIV: Wie Sie bereits am Anfang gesagt haben, steht Graft im Grunde als gemeinschaftliches Büro für Innovation. Sie nutzen extravagante Materialien wie in dem Fall die Keramikplatten für die Fassade, ebenso wie andere moderne Elemente und sorgen auch mit diesem Bruch von Konventionen sozusagen für Innovation, auch im Bereich Immobilien grundsätzlich. Deshalb die relativ allgemeine, aber dennoch sehr spannende Frage gezielt an Sie gestellt: Was ist oder was heißt moderne Architektur für sie persönlich?

Graft: Wir sehen uns als Vertreter von moderner Architektur und wie Wolfram (Putz) sagte, suchen wir durchaus das Neue. Es ist unser Selbstverständnis, dass wir Architektur studiert haben, um das Neue zu denken, denn das Gewohnte kennen wir ja schon. Das sich Wiederholdende können dann auch alle, nur dafür braucht man nicht Architektur zu studieren. Wenn man nicht das Gefühl hat, dass man etwas zur Lösung der Zukunft beitragen kann – und das können häufig nur neue Dinge / Innovationen gepaart mit bekannten Dingen – dann sehen wir keinen wirklichen Sinn in der Profession Architekt*in.

„Konventionen zu brechen ist keine Qualität an sich.“

Konventionen zu brechen ist aber keine Qualität an sich. Wir lieben durchaus auch die Baugeschichte und große Qualitäten, die von Architekten vor uns erreicht wurden. Wir sehen uns in dieser Tradition von Architekt*innen.

Karl Friedrich Schinkel war in seiner Zeit revolutionär, auch wenn seine Werke heute auf uns wie etwas klassisch zeitlos wirken. Das alles sind rückwirkende Betrachtungsweisen. Schinkel wollte in seiner Zeit das Allerbeste, Innovativste und Neueste denken – und dabei war er sehr versatil. Er war nicht nur Klassizist, er war Forscher und Erneuerer. Er war durchaus auch ein Bereiter der Moderne, wenn man beispielsweise auf seine Bauakademie oder die Kaufhäuser schaut, die er geplant hat. Was ich (T. Willemei) damit sagen möchte ist: Wir lieben Tradition, aber Traditionen, müssen sich – für uns – immer wieder beweisen.

Moderne Architektur ist eine Frage der Haltung: Traditionen & Neubauprojekte

Graft: Ein Satz von Thomas Morus, der bereits 500 Jahre alt ist und beweist, dass Zeit und Alter überhaupt keine Rolle spielen, lautet: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weiterreichen der Flamme“. Das ist für uns Tradition: wenn sie immer noch brennen, dann sind es gute Traditionen. Traditionen, die abgebrannt sind, brauchen wir als Gesellschaft nicht mehr. Wir können neue erfinden, und dazu haben wir von Graft große Lust. Wir wissen alle, dass Neuerfindung nicht heißt, alles neu zu machen, sondern eine Kleinigkeit in einem sehr komplexen Gefüge zu verändern.

Wir alle stehen auf den Schultern von Giganten. Doch wir stehen gerne da oben, denn von dort hat man Weitblick und manchmal muss man sogar von der Schulter abspringen, damit sich etwas verändert. Das machen wir gerne und begeistern uns damit gegenseitig für das Neue. Nicht weil es neu ist, sondern weil das Neue etwas leisten kann. Wenn es das nicht tut,  dann kann man das Neue auch sehr schnell wieder zur Seite legen. Wir sind nach wie vor Freunde davon, es einfach zu probieren.

„Am Ende muss ein Mehrwert entstehen!“

Wer gehen will, der muss einen Fuß hochheben und die Balance verlagern, sonst kann er nicht anfangen zu gehen. In vielerlei Hinsicht freuen wir uns darauf, wenn man uns die Gelegenheit gibt, wieder gehen zu lernen – so wie Kinder es tun -, immer mal wieder die Balance zu verlieren und in ein ‚Terrain vague‘ einzudringen. Denn dort winkt häufig ein besonderes Abenteuer, nicht nur für Architekt*innen, sondern auch für die Bauherr*in. Am Ende des Tages muss allerdings ein Mehrwert entstehen: für die Gesellschaft, für die Realisierbarkeit, für den Verkauf oder einfach für die Lust am Benutzen von Architektur. Wenn das Moderne ist, dann sind wir gerne dabei!

Bricks Berlin: Traditioneller Baustoff in neuer Aufmachung

FIV: Im Zuge dessen die Frage zum Projekt Bricks, das ja auch in Berlin gewesen ist: Es geht nicht immer nur um Neubau. Brick Berlin Schöneberg war ein Revitalisierungsprojekt. Wie gehen Sie ein solches Projekt an, was wollten oder sollten Sie am Gebäude unbedingt erhalten?

Graft: Bricks ist eines der größten Projekte von Graft in der letzten Zeit, das eben ein Weitererzählen einer schon vorgefundenen Qualität und Geschichte beinhaltet. Bricks war das Ensemble, welches einen ganzen Berliner Block durchdringt: ein altes, großes Postfuhramt. Es war bereits in seiner ersten Baugeneration ein wirkliches Stück großer Baukunst, und ist deswegen frühzeitig als Architekturdenkmal klassifiziert worden. Unser Bauherr, mit dem wir schon einige Projekte umgesetzt hatten, erwarb das alte Postamt, um etwas komplett anderes daraus zu machen und es nach-zu-verdichten.

„Was ist das Morgen, für das wir die Moderne neu bauen?“

Deswegen war es total toll, sich auf eine Forschungsreise in die Vergangenheit zu begeben, um die ganzen Fäden zu (er)finden, die man aufnehmen möchte, um so ein Projekt zu verstehen. Um auch die Intentionen der Kollegen, die früher an diesem Haus gebaut haben, in einer Weise zu ehren. Und das ohne sie nachzuahmen oder sie zu kopieren.

Wir glauben, dass kein Architekt – zumindest keiner der eine ähnliche Denkweise wie wir hat – wollen würde, dass man sein Haus in 100 Jahren so ergänzt, wie er es selbst zur Entstehungszeit getan hätte. Diese Architekten waren es auch, die die Gegenwart in der Gegenwart gelebt, geliebt und gefordert haben, und gedrängt haben, um zu verstehen: Was ist das Morgen, für das wir die Moderne neu bauen?

Ziegel als Material & Bindeglied zur Erweiterung und Umgestaltung der Immobilie

Graft: Insofern haben wir uns überhaupt nicht gescheut zu sagen: Wir wollen dort weiter erzählen, aber mit einer Haltung von heute. Das, was als Klammer über die Zeit in die Vergangenheit geht, ist die Nutzung des gleichen Werkstoffs. Diesen für Berlin sehr typischen Werkstoff Ziegel, der eine große Geschichte in dieser Stadt hat.

Wir haben uns gefragt: Was sind Ausdrucksformen von Ziegel heute? Was sind bautechnische Möglichkeiten, die Ziegel heute hat, die er vor 100 Jahren noch nicht hatte? Im Eingang der Fassade an der Hauptstraße beispielsweise entstand etwas, das nur durch eine computergestützte Generierung von Form und Kontrolle dieser Form in dem Fertigungsprozess der Ziegellegung hergestellt werden konnte, weil jede Linie, jede Lage von Ziegeln einer anderen Kontur oder topografischen Linie folgt.

So entstanden plötzlich expressionistische Anleihen aus der Ziegelarchitektur der Jahrhundertwende, mit einem formalen Ausdruck, den man händisch so nicht hätte herstellen können – zumindest nicht in dieser Genauigkeit und nur sehr kompliziert. Auch wenn es nur ein kleiner Teil des Ensembles ist, der mit dieser parametrischen Entwurfstechnik und Bautechnik belegt ist, zeigt es dennoch, dass das Haus nicht vor 1999, ja wahrscheinlich nicht vor 2010 hätte gebaut werden können. Insofern drücken wir durch das Haus eine nächste, neue Generation von Architektur aus, die ganz stark für ihre Zeit steht.

  • Tipp! Erfahre hier noch mehr zu diesem Graft Projekt: Bricks Berlin

Generationen der Architektur – Zukunft durch Herkunft

Graft: Wir möchten mit dem Projekt Bricks aus der harten, sehr durch Regeln oder auch von mangelnder Vorstellungskraft geprägten Architektur der „Kiste“ ausbrechen, und eine Sensibilisierung, Poetisierung und auch Feminisierung von Formensprachen hineinnehmen, die eine andere Grundschwingung im Beobachter auslösen kann. Eine Formensprache, die im Stadtraum den Raum anders fließen lässt.

Das gab es zwar in Teilen auch schon im zwanzigsten Jahrhundert, aber es ist durch die computergenerierte Architektur im Laufe der letzten 10 – 15 Jahre erst beherrschbarer, planbarer und machbarer geworden. Deswegen ist es auch in vielen Bereichen sichtbarer. Zukunft braucht Herkunft. Wir stehen auf den Schultern von anderen Innovator*innen.

Schön ist auch, dass im Inneren des Gebäudes eine wirklich tolle Mischung an Gesellschaftsgruppen und Nutzungen stattfindet. Es wird dort gewohnt, gearbeitet und es gibt ein großes, jüdisches Kabbalah-Zentrum, also einen spiritueller Ort.

Natürlich gibt es auch ganz klassische Büro- und Gewerbemöglichkeiten, und ein Postamt. Insofern ist es eine schöne, sogenannte „Berliner Mischung“. Weiter-experimentiert-erzählt in etwas, was früher ein monofunktionales Postgelände war. Das kann jedem zeigen, wie alte, historische Gebäude ihr Korsett sprengen, und weitererfunden werden können, in dieser Stadt die wir alle lieben: Großstädtisch, aber dörflich im Maßstab und im Inneren.

Bilder: Bricks Berlin Schöneberg, Umbau- & Neubauprojekt

Hier findest du einige Impressionen des Revitalisierungs-Projekts Bricks. Besonders spannend ist hier unter anderem die Umsetzung und Fortsetzung der Fassade mit dem Baustoff Ziegel. Unterschiedliche Gebäude haben unterschiedliche Aufmachungen, und sind doch über das Material miteinander verbunden.

© BTTR GmbH

Auf diesem Foto kannst du einen noch näheren Blick auf die einzigartige Umsetzung der Fassade werfen. Individuell positionierte Ziegelsteine bilden gerade an diesem Eingang eine beeindruckende Struktur.

© BTTR GmbH

Ein weiteres Gebäude des Bricks-Projektes wurde mit demselben Baustoff verkleidet, allerdings in ganz anderen Umsetzung. Dadurch ergibt sich die bereits angesprochene Spannung zwischen unterschiedlichen Fassadengestaltungen und der gleichzeitigen Verbindung durch das Thema Ziegel.

© Trockland

Architekten und Zukunftsprojekte – Interview Teil 1 & 3

Du möchtest noch mehr über Graft, dessen Gründer, Gründung und geplante Zukunftsprojekte erfahren? Kein Problem! Das umfangreiche Interview mit dem Architekturbüro haben wir in 3 thematische Abschnitte unterteilt, die jeweils näheren Einblick in das Arbeiten und die Projekte von Graft geben. Lies also gern auch die anderen Teile des Interviews und erfahre mehr über Graft als Architekturbüro, ihre Unternehmensphilosophie oder auch über spannende und innovative Projekte der Zukunft. Graft all over!

Architekten und erfolgreiches Arbeiten (1/3)

Du findest die bisher vorgestellten Projekte interessant und möchtest noch mehr über das Architekturbüro erfahren? Kein Problem! Wir haben neben Projekten zum Wohnen / Mixed Use mit den Gründern auch über die Entstehung und Philosophie ihres Unternehmens, sowie über Zukunftsprojekte gesprochen. In Teil 1 des Interviews kannst du noch mehr über die Gründer und ihr Zusammenfinden als Unternehmergruppe herausfinden. Außerdem erfährst du, was die Objekte von Graft so einzigartig macht, und welche Einstellung die Architekten zu ihrer Arbeit haben. Lies hier mehr!

© Pablo Castagnola (Von links nach rechts: Thomas Willemeit, Wolfram Putz, Lars Krückeberg)

Zukunftsprojekte –  E-Autos und Flugtaxis (3/3)

Elektroautos, Tankstellen für Strom und Lufttaxis – Zukunftsmusik? Keineswegs! Das moderne Unternehmen möchte als Vorreiter fungieren, Möglichkeiten schaffen und Probleme lösen! Mit den zukünftigen Projekten begibt sich Graft als Wegbereiter der Verkehrswende mit starken Partnern wie e.on auf die Suche nach innovativen Lösungen für moderne Problemstellungen. Erfahre hier alles rund um die spannenden Architektur-Projekte von morgen!

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